So kann als paradoxe Quintessenz für die Pädagogik nur eine dialektische Konstruktion stehen: „Der Glaube an eine bessere Welt kann zur Verblendung führen. Aber ohne Glauben an wirklichen Einfluss ist pädagogisches Handeln nicht möglich“ (Bauer/Schreib 2007, 71). Am Ende kann deshalb nur ein „Kontrafaktischer Optimismus“ (vgl. ebd.) als essentielles Motto für die Pädagogik gelten.

Für pädagogisch Tätige bedeutet dies ein ständiges Chargieren im Spannungsfeld zwischen dem Leiden an der falschen Wirklichkeit und der Hoffnung auf etwas Besseres, zwischen Empirie und Theorie, zwischen Realität und Utopie. […] Das Neue, Bessere kann immer nur sekundär und gedanklich, als konzeptioneller Entwurf entgegengestellt werden, dessen Umsetzung aber höchstens rudimentär gelingen kann. […]

Der Balanceakt steht in Gefahr, nach verschiedenen Seiten hin zu kippen: Zum ersten, insofern die Praxis Vorrang gegenüber der Theorie gewinnt oder sie sich sogar einverleibt. Das wird etwa ersichtlich in einem Aktivismus und Fakten-Fetischismus, der die der Pädagogik inhärente Reformidee zwar noch erspürt, sie aber ohne explizit reflektierten Bezug auf Ideale oder Visionen zu einem theorielosen ‚vor sich hin Wursteln‘, einer kopflosen Dauer-Reformeritis pervertiert hat (vgl. Gaschke 2011, die die in unserem Bildungssystem grassierende Reformwut beklagt). […]

Zum zweiten, insofern die Theorie gegenüber der Praxis ihren Abstand verliert, sie okkupiert und dieser ihr eigenes (vermeintliches) Besserwissen überstülpt: Eine solche Politisierung der Pädagogik gerät in ein eindimensionales, diktatorisches Fahrwasser: Sie mutiert zu einer normativistischen Pädagogik. Pädagogik hat dagegen stets reflexiv und zurückgenommen zu agieren; sie hat permanent um ihre Distanzfähigeit zu ringen. […]

Zum Dritten, insofern Theorie und Praxis quasi als zwei unabhängige Galaxien nebeneinander her existieren, ohne gegenseitige Anspruche zu formulieren oder wahrzunehmen. Dagegen muss sich Pädagogik als konstruktive Handlungswissenschaft bewähren. Das bedeutet, dass sie als Disziplin nicht in vornehmer Nicht-Einmischung allein einer Elfenbeinturmforschung nachgehen darf und umgekehrt als Profession theoretische (Gegen-)Entwürfe ernst nehmen muss.

Aus Mattern, Ruperta; Rapold, Monika (2012): Zum Geleit: Eine Pädagogik des kontrafaktischen Optimismus. In: Monika Rapold und Ruperta Mattern (Hg.): Sprüche. Einsprüche. Widersprüche. Perspektiven einer kontrafaktischen Pädagogik. Festschrift für Georg Hörmann. Berlin: Logos Verlag, S. 1–8.

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